Beißvorfall Schäferhund – Zum Haltungsverbot von großen Hunden

VG Düsseldorf, Urt. v. 27.06.2018 – 18 K 1929/16

Sachverhalt:

Im Frühjahr 2011 kam es mit dem Schäferhund des Klägers zu einem Vorfall, bei dem der Schäferhund einem Mädchen ins Bein gebissen und es dadurch verletzt hatte. Die beklagte Ordnungsbehörde begutachtete den Schäferhund daraufhin und stellte dessen Gefährlichkeit fest. Durch die begutachtende Amtstierärztin wurde mündlich ein sofortiger Leinen- und Maulkorbzwang angeordnet. Der Kläger erklärte sich hiermit einverstanden und verzichtete ausdrücklich auf eine schriftliche Bestätigung.

Über ein Jahr später kam es erneut zu einem Vorfall, bei dem der Schäferhund einem Mann ins Bein gebissen haben soll. Der Schäferhund soll dabei weder angeleint gewesen sein, noch einen Maulkorb getragen haben. Ob der Schäferhund des Klägers den Mann überhaupt gebissen und verletzt hatte, war zwischen den Parteien jedoch umstritten und blieb ungeklärt.

Aufgrund dieses Vorfalls erließ die Beklagte einen Bescheid gegen den Hundehalter und ordnete ein Hundehaltungsverbot sowohl bezüglich des Schäferhundes, als auch bezüglich der generellen Haltung großer Hunde im Sinne des § 11 LHundG NRW an. Zudem sollte der Schäferhund bis zur Überprüfung der Gefährlichkeit in einem Tierheim untergebracht werden.

Gegen diesen Bescheid klagte der Hundehalter und stellte zugleich einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Der Antrag wurde abgelehnt, denn das Gericht sah die Unzuverlässigkeit des Hundehalters als erwiesen an. Der zweite Vorfall hätte vermieden werden können, hätte sich der Kläger an die Haltungsauflagen nach dem ersten Vorfall gehalten. Da er sich in der mündlichen Verhandlung darauf berufen hatte, dass seiner Meinung nach die mündliche Anordnung keine Wirkung ihm gegenüber entfaltet hätte, war auch davon auszugehen, dass er sich weder an den Leinen- noch an den Maulkorbzwang gehalten hatte. Somit war von einem Verstoß gegen § 2 Abs. 1 LHundG NRW auszugehen. Er habe außerdem nach dem ersten Vorfall gewusst, dass sein Schäferhund aggressives Verhalten zweigen würde und hätte daher den Schäferhund erst recht sichern müssen.

Das Hauptsacheverfahren wurde eingestellt, da der Schäferhund zwischenzeitlich abgegeben worden war.

Weil der Geschädigte des zweiten Vorfalls seinerseits den Hundehalter verklagte, kam es zu einem weiteren Gerichtsverfahren, bei dem mehrere Zeugen zu dem Vorfall angehört wurden. Das Amtsgericht Düsseldorf wies die Klage gegen den Hundehalter im Januar 2015 ab. Das Gericht hatte erhebliche Zweifel daran, dass der Schäferhund den Mann verletzt hatte, denn die Zeugenaussagen blieben unergiebig, der Kläger konnte somit keinen Biss beweisen. Es blieb offen, ob der Schäferhund seinerzeit angeleint gewesen war.

Im November 2015 stellte der Halter des Schäferhundes einen Antrag bei der Beklagten, das Verbot zur Haltung großer Hunde aufzuheben. Er begründete den Antrag damit, dass ein Biss bei dem Gerichtsverfahren nicht festgestellt werden konnte. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid ab. Für eine Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens gäbe es keine Gründe, es fehle an neuen Anhaltspunkten. Eine Rechtsmittelbelehrung fehlte in dem Bescheid.

Anfang 2017 erhob der Hundehalter Klage hiergegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Die Ablehnung der Aufhebung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, er hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Haltungsverbots für große Hunde.

Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 22 OBG NRW. Nach dieser Vorschrift kann die von einer Ordnungsverfügung mit fortdauernder Wirkung betroffene Person verlangen, dass die Verfügung aufgehoben wird, wenn die Voraussetzungen der Ordnungsverfügung fortfallen.

Die Voraussetzungen der ersten Ordnungsverfügung aus dem Jahr 2012 sind vorliegend jedoch nicht entfallen. Die Rechtsgrundlage für ein allgemeines Haltungsverbot von großen Hunden ist in § 12 Abs. 2 LHundG NRW geregelt. Danach kann das Halten eines großen Hundes im Sinne des § 11 Abs. 1 LHundG NRW untersagt werden, wenn ein schwerwiegender Verstoß oder wiederholte Verstöße gegen Vorschriften des LHundG NRW oder auf Grund dieses Gesetzes getroffener Anordnungen vorliegen, die Haltungsvoraussetzungen nach § 11 Abs. 2 LHundG nicht erfüllt sind oder die Haltungsvoraussetzungen nicht innerhalb einer behördlich bestimmten Frist der zuständigen Behörde nachgewiesen wurden.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren bereits ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine solche Anordnung vorlagen, denn der Kläger hatte sich nach eigenen Angaben trotz ausdrücklicher Zustimmung und Verzichts auf eine schriftliche Ausführung nicht an die Haltungsanordnungen gebunden gefühlt und in der Folge hiergegen verstoßen. Diese Voraussetzungen sind auch nicht durch die Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf oder durch Zeitablauf entfallen.

Die Entscheidung des Amtsgerichts enthält weder die Feststellung, dass es nicht zu einem Biss gekommen ist, noch, dass der Schäferhund des Klägers bei dem Vorfall angeleint gewesen ist oder einen Maulkorb trug. Es stellt lediglich fest, dass ein Biss durch die beigebrachten Beweismittel nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnte. Zudem hatte das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss nicht auf den Umstand abgestellt, dass es bei dem zweiten Vorfall tatsächlich zu einem Biss gekommen ist. Ausschlaggebend für die Feststellung war, dass der Kläger schwerwiegend und wiederholt gegen Vorschriften des LHundG NRW verstoßen hat und sich als unzuverlässig im Sinne des § 7 Abs. 2 LHundG NRW erwiesen hat und zwar hauptsächlich wegen des ersten Vorfalls bei dem der Schäferhund ein Kind gebissen hatte und weil der Kläger trotz Kenntnis der von seinem Schäferhund ausgehenden Gefahren die Anordnung der Amtsveterinärin zwar scheinbar akzeptierte, sie zugleich aber mit Verweis auf deren mögliche Nichtigkeit vorsätzlich missachtete.

Auch der Zeitablauf seit Erlass der Verfügung führt nicht zu einem Fortfall der ihr zugrundeliegenden Voraussetzungen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich ergäbe, dass der Kläger sein Fehlverhalten mittlerweile eingesehen hätte und zukünftig nicht mehr mit Verstößen gegen das LHundG NRW zu rechnen ist. Dabei ist zu beachten, dass der Kläger – selbst wenn es bei dem zweiten Vorfall nicht zu einem Biss durch seinen Schäferhund gekommen sein sollte – massiv und wiederholt gegen Vorschriften des LHundG NRW verstoßen hat, so dass auch nach sechs Jahren noch von einer Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen werden kann.

Eine abweichende Betrachtung erlaubt auch § 7 Abs. 1 LHundG NRW nicht. Danach besitzen Personen die zur Haltung eines Hundes erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, die wegen der dort genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass nach einem Ablauf von fünf Jahren auch sonstige Tatbestände, die zur Annahme der Unzuverlässigkeit des Hundehalters geführt haben, nicht mehr zu berücksichtigen wären. Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich hier aus § 7 Abs. 2 Nr. 2, der im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG gerade keine zeitliche Einschränkung vorsieht. Aber auch eine festgestellte Unzuverlässigkeit wegen der Begehung von Straftaten entfällt nicht automatisch nach Ablauf von fünf Jahren. Raum für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf § 7 Abs. 2 Nr. 2 LHundG besteht aber auch bereits mangels Regelungslücke und mangels vergleichbarer Interessenlage nicht.

 

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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Gefährlichkeitsfeststellung und Haltungsuntersagung zweier Akita-Inu Rüden nach Angriff auf Schafe

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2018 – OVG 5 S 19.18

Sachverhalt:

Die Antragstellerin ist Halterin zweier Akita-Inu Rüden. Diese wurden eines Tages von einem Schäfer dabei angetroffen, wie sie seine verängstigten Schafe, die sich in ihrer Schutzhütte in eine Ecke drängten, anbellte. Der Schafhalter rief die Polizei und die Hundehalterin hinzu, so dass der Vorfall bei der beklagten Ordnungsbehörde aktenkundig wurde. Der Schäfer stellte kurz nach dem Vorfall bei zwei Schafen offene, noch nicht verschorfte Bisswunden fest. Die Beklagte stellte daher die Gefährlichkeit der Akita-Inu Rüden fest und ordnete eine sofort vollziehbare Haltungsuntersagung an, sowie dass die Akita-Inu Rüden an ein Tierheim oder eine andere Person die gefährliche Hunde halten darf abgegeben werden.

Hiergegen hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz ersucht und unter anderem  eingewendet, dass der Schäfer gar nicht gesehen hätte, dass die Akita-Inu Rüden die Schafe tatsächlich gebissen hätten, er habe lediglich die Akita-Inu Rüden im Stall angetroffen. Zeugen dafür, dass die Akita-Inu Rüden die Schafe tatsächlich gebissen hätten, gäbe es nicht.

Entscheidung:

Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde abgelehnt. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt vorliegend das private Interesse der Hundehalterin, vorerst von der Vollziehung verschont zu bleiben. Nach der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist davon auszugehen, dass sich der Bescheid auch in der Hauptsache voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird. Der Schäfer konnte glaubhaft bezeugen, dass die Akita-Inu Rüden die Schafe in ihrem Unterstand angebellt hatten und sie kurz darauf Bissverletzungen aufgewiesen haben. Es ist daher davon auszugehen, dass die Verletzungen durch die Akita-Inu Rüden verursacht wurden. Die Einwände der Antragstellerin waren dagegen völlig unsubstantiiert. So hatte sie vorgetragen, es könne genauso gut sein, dass die Schafe von einem Wolf angegriffen worden seien und ihre Akita-Inu Rüden den Wolf vertrieben hätten. Zudem sei es völlig lebensfremd, dass die Akita-Inu Rüden, die ebenfalls auf dem Grundstück befindlichen Hühner unbehelligt gelassen haben sollen, aber die Schafe angegriffen hätten. Diese Behauptungen wurden in keiner Weise näher belegt. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat das Gericht nur eine summarische Prüfung vorzunehmen und brauchte daher nicht näher auf diese rein spekulativen Behauptungen einzugehen. Auch dass die Akita-Inu Rüden keine Blutspuren an ihren Schnauzen gehabt haben sollen, kann den von dem Zeugen dargelegten Sachverhalt nicht widerlegen, denn es ist nicht zwingend notwendig, dass nach dem Biss eines Schafes Blutspuren am Maul des Hundes zu finden sind. Die Akita-Inu Rüden haben daher nach Überzeugung des Gerichts ohne Anlass die Schafe des Zeugen gebissen und verletzt.

Die Vermutung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV ist unwiderleglich, so dass die Feststellung der Beklagten, dass es sich bei den Akita-Inu Rüden um gefährliche Hunde nach dieser Vorschrift handelt, nicht zu beanstanden ist. Es spielt daher auch keine Rolle, dass die Akita-Inu Rüden zuvor nie auffällig geworden sind und auch der Amtstierarzt kein aggressives Verhalten feststellen konnte. Ein einmaliger Beißvorfall reicht für die Vermutung der Feststellung der Gefährlichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV aus.

Die Akita-Inu Rüden der Antragstellerin sind daher gefährliche Hunde, weswegen es zu ihrer weiteren Haltung einer Erlaubnis gemäß § 10 Abs. 1 HundehV bedürfe. Eine solche hat die Antragstellerin jedoch bislang weder beantragt noch erhalten, so dass auch das Haltungsverbot rechtmäßig erfolgte.

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Zur Feststellung der Gefährlichkeit bei Beteiligung mehrerer Hunde

OVG Magdeburg, Beschluss vom 03.07.2018 – 3 M 252/18,

vorgehend VG Halle, Beschluss vom 16.05.2018 – 1 B 79/18

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin als zuständige Ordnungsbehörde erhielt durch eine Anzeige Kenntnis von einem Beißvorfall, bei dem die FoxterrierHündin der Anzeigeerstatter von den beiden Landseer-Hündinnen der Antragstellerin gebissen wurde. Der Terrier erlitt dabei mehrere Bisswunden, die medikamentös behandelt, aber nicht genäht werden mussten.

Der Hergang des Vorfalls ist dabei zwischen den Hundehaltern umstritten. Die Halter des Terriers hatten angegeben, dass die beiden Landseer unangeleint waren und ohne ersichtlichen Grund auf den Terrier zugestürmt seien und diesen vierzehnmal in die Flanken gebissen hätten, obwohl der Terrier sich ihnen unterworfen habe. Die Antragstellerin hat dagegen angegeben, dass der unangeleinte Terrier auf einmal, während sie ihre beiden Hunde angeleint ausführte, auf die Landseer zugerannt kam und die jüngere der beiden Hündinnen in die Lefze gebissen habe (wobei eine Verletzung nicht nachgewiesen wurde). Sie sei daraufhin gestürzt und die Hunde hätten sich losgerissen und seien dem Terrier gefolgt. Als dieser sich ihnen unterworfen habe, hätten die beiden Hündinnen von ihm abgelassen.

Die Antragsgegnerin hatte im Folgenden per Bescheid die Gefährlichkeit der beiden Landseer festgestellt und einen Leinen- und Maulkorbzwang angeordnet und deren sofortige Vollziehung angeordnet. Die Antragstellerin hat hiergegen einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beziehungsweise in Bezug auf die Anordnungen des Leinen- und Maulkorbzwangs die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

 

Entscheidung:

Der Antrag hatte Erfolg, sowohl vor dem Verwaltungsgericht, als auch auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin vor dem Oberverwaltungsgericht.

Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist stattzugeben, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ernstliche Zweifel bestehen, also wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Vorliegend begegnet die Feststellung der Gefährlichkeit der beiden Landseer ernstlichen Zweifeln.

Rechtsgrundlage für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes ist § 4 Abs. 4 Satz 1,2 HundeG LSA. Hiernach hat die Behörde Hinweise auf einen Hund, der eine gesteigerte Aggressivität oder Kampfbereitschaft aufweist oder Menschen oder andere Tiere gebissen hat, von Amts wegen zu überprüfen. Kommt die Behörde zu dem Schluss, dass von dem Hund tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt sie dessen Gefährlichkeit fest. Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 HundeG LSA sind im Einzelfall gefährliche Hunde solche, die sich als bissig erwiesen haben, ohne dabei selbst angegriffen worden zu sein. Seit der Neufassung des § 3 Abs. 3 HundeG LSA ist grundsätzlich jede durch den Biss verursachte körperliche Beeinträchtigung erheblich, es sei denn, sie ist nur ganz geringfügig.

Diese Voraussetzungen waren vorliegend zumindest nicht hinreichend aufgeklärt. Die Tatsache, dass der Foxterrier von den beiden Landseern gebissen wurde reicht zur Feststellung der Gefährlichkeit allein nicht aus, es muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die beiden Hündinnen nicht zuvor selbst angegriffen wurden. Durch die zusätzlich geschaffene Voraussetzung „ohne selbst angegriffen worden zu sein“, soll den Behörden einen Ermessensspielraum bei der Beurteilung von konkreten Vorfällen eröffnet werden um zu ermöglichen, dass solche Fälle ausgenommen werden können, in denen ein Hund eindeutig aus artgerechtem Abwehr- und Verteidigungsverhalten reagiert hat. Zwar ist die Hinzuziehung von Sachverständigen zur Aufklärung von Beißvorfällen nicht zwingend notwendig, jedoch soll in Zweifelsfällen wie diesem ein Tierarzt mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen hinzugezogen werden. Die Antragstellerin hatte zur Untermauerung ihrer Sachverhaltsschilderung zwei Zeugen benannt, die später sogar eidesstattliche Versicherungen abgegeben hatten. Die Antragsgegnerin hat diese Zeugen jedoch gar nicht erst angehört, sondern den Sachverhalt, so wie ihn die Halter des Terriers in ihrer Anzeige dargestellt hatten, als tatsächlich unterstellt und keinerlei weitere Aufklärung betrieben. Obwohl die Antragstellerin ihrerseits Anzeige gegen die Halter des Terriers erstattet hatte, wurden keinerlei Untersuchungen hinsichtlich der Feststellung der Gefährlichkeit des Terriers unternommen. Obwohl greifbare Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die beiden Landseer sich lediglich verteidigt hatten, hat die Antragsgegnerin dies nicht weiter aufgeklärt und ist daher ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Die Antragsgegnerin hat es von vornherein gänzlich unterlassen einer sich hier aufdrängenden Entlastungsmöglichkeit für die als gefährlich festzustellenden Hunde nachzugehen. Ob die Landseer-Hündin bei dem Angriff des Terriers tatsächlich verletzt wurde ist dabei unerheblich, denn ein Angriff nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA setzt nicht zwingend die Verletzung des angegriffenen Hundes voraus.

Auch das Argument der Antragsgegnerin, dass jedenfalls die ältere Hündin, die den Foxterrier  ebenfalls gebissen haben soll, selbst nicht angegriffen worden sei und sich die Antragstellerin deshalb auch nicht auf den Rechtfertigungstatbestand berufen könne, vermag nicht zu überzeugen, denn unter einem Angriff im Sinne der vorgenannten Bestimmung ist jede Bedrohung schützenswerter Interessen des Hundes durch Menschen oder Tiere zu verstehen. Sollte es deshalb zutreffen, dass der Foxterrier die jüngere Hündin gebissen oder attackiert hat, ist davon auszugehen, dass die ältere Hündin lediglich den „Familienverband“ bzw. das „Rudel“ gegen Angriffe verteidigen und die jüngere Hündin beschützen wollte. In diesem Fall wäre das Angriffsverhalten der älteren Hündin zugleich als artgerechtes Verteidigungs- oder Abwehrverhalten anzusehen.

 

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Zur Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwangs

VG Würzburg, Urteil vom 27.07.2018, AZ.: W 9 K 17.332

Sachverhalt:

Der Kläger ist Halter eines Leonberger Hundes, den er auf seinem Wohngrundstück mit angrenzendem Garten- und Baugrundstück hält. Es handelt sich hierbei um einen großen Hund mit mindestens 50 cm Schulterhöhe. Nachdem die Beklagte als zuständige Ordnungsbehörde Kenntnis von einem Beißvorfall erlangte, wonach der Leonberger unangeleint von dem nicht ausbruchsicheren Grundstück entkommen war und eine Labrador-Hündin ohne ersichtlichen Grund gebissen hatte, ordnete sie einen Leinen- und Maulkorbzwang für den Leonberger an. Durch den Bescheid wurde der Kläger dazu verpflichtet,

  1. den Hund außerhalb seines Grundstücks innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile an einer höchstens 3 Meter langen Leine mit schlupfsicherem Halsband oder ähnlich zuverlässiger Körperbefestigung zu führen, insoweit werde Leinenzwang angeordnet. Komme es außerhalb dieser Bereiche zu Begegnungen mit Menschen oder Tieren, sei der Hund so rechtzeitig anzuleinen und dürfe erst dann wieder von der Leine gelassen werden, wenn ein ungewollter Kontakt mit Menschen oder Tieren mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
  2. Beim Ausführen des Hundes außerhalb des Grundstücks des Klägers sei diesem ein Maulkorb anzulegen, insoweit werde Maulkorbzwang angeordnet.
  3. Der Aufenthaltsbereich des Hundes auf dem Grundstück des Klägers sei so abzusichern, dass der Hund die Grundstücke nicht unbeaufsichtigt verlassen könne.

Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 angeordnet. Für den Fall, dass der Kläger die in den Ziffern 1 bis 3 genannten Pflichten nicht ab sofort erfülle, wurden Zwangsgelder festgesetzt.

Durch Änderungsbescheid wurden die Anordnungen dahingehend abgeändert, dass die örtliche Begrenzung auf zusammenhängend bebaute Ortsteile aufgehoben wurde und nun verfügt wurde, dass der Hund in einem beiliegenden Lageplan blau markierten Bereich freier Auslauf ohne Maulkorb gewährt werden dürfe, wenn er sich unter Aufsicht des Hundehalters befinde und gewährleistet sei, dass er den Anordnungen des Hundehalters Folge leiste.

Zur Begründung gab die Beklagte an, dass nach den gegebenen Tatsachen zu befürchten sei, dass der Hund Menschen oder erneut andere Tiere “angreife”, so dass von ihm eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. In der nachfolgenden Zeit ereigneten sich weitere Vorfälle mit dem Hund, wobei er sich in einem Fall aus dem Halsband und damit auch von der Leine befreite.

Gegen diesen Bescheid erhob der Hundehalter Klage vor dem Verwaltungsgericht, jedoch ausdrücklich nur gegen den angeordneten Maulkorbzwang. Der Kläger war der Ansicht, dass es des Maulkorbes nicht bedürfe, wenn er sich an den Leinenzwang halte, ein schlupfsicheres Halsband verwende und das Grundstück gegen Ausbrüche sichere, da unter diesen Bedingungen keine Gefahr von dem Hund ausgehe.

 

Entscheidung:

Die Klage wurde von dem Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die angegriffene Anordnung ist Art. 18 Abs. 2 LStVG. Nach dieser Vorschrift können die Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Letzteres ist dann der Fall, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter kommt. Da es vorliegend bereits zu einem Beißvorfall gekommen war, hatte sich die von jedem Hund ausgehende abstrakte Gefahr bereits realisiert, so dass eine konkrete Gefahr weiterer Vorfälle bestand. Weiterer Voraussetzungen für die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes bedurfte es daher nicht. Insbesondere kommt es vorliegend nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelte.

Die Anordnung erfolgte auch ermessensfehlerfrei. Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind an die Begründung des Entschließungsermessens regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen. Bei ihrer Auswahlentscheidung hat die Beklagte die entscheidungsrelevanten Belange abzuwägen, die von Art. 18 LStVG geschützten Rechtsgüter zu beachten und die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die Bejahung der konkreten Gefahr maßgeblich sind. Zudem muss die Maßnahme verhältnismäßig sein. Eine Kombination von Leinen- und Maulkorbzwang ist möglich, wenn im Einzelfall eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Hund auch angeleint beißen würde oder sich von der Leine losreißen würde. Vorliegend hatte der Leonberger sich bereits zuvor aus dem Halsband befreit, so dass eine konkrete Wahrscheinlichkeit hierfür bestand.

Durch die neue Regelung, dass der Hund in festgelegten Bereichen auch ohne Leine und Maulkorb ausgeführt werden darf, wurde auch dem natürlichen Bewegungsbedürfnis des Hundes entsprochen, weswegen die Anordnungen insgesamt als verhältnismäßig anzusehen waren.

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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